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Sauberkeitsentwicklung

Aktualisiert: 7. Apr. 2022

Die Sache mit der Sauberkeitsentwicklung - Das ist gar nicht so leicht und es gibt echt viele Mythen.

Vorab: Bitte lies das Highlight Sauberkeitsentwicklung auf meinem Instagramkanal @liebevoll.aufwachsen.

Vorab Part 2: Ausscheidungskommunikation ist in diesem Beitrag nicht berücksichtigt, es geht hier um Kinder, die schon länger eine Wegwerf-Windel tragen oder getragen haben.

Vorab Part 3: Kinder brauchen kein Töpfchentraining! Vor allem nicht von Laien - wenn es irgendwelche organischen oder psychischen Probleme geben sollte, dann klärt das bitte mit entsprechendem Fachpersonal ab - Kinderärzt*e, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen.


Hintergrund:

Viele Kinder mussten bis in die 70iger Jahre ein Töpfchentraining machen. Hierfür wurden die Kinder schon in einem Alter von 6 Monaten auf ein Töpfchen gesetzt, um sie daran zu gewöhnen. Erst durch die Einwegwindel, welche Anfang der 60iger erfunden wurde und ab den 70igern in Deutschland verkauft wurde, kam es zum Umdenken. Die Wegwerfwindel führte dazu, dass viele Eltern ihren Kindern mehr Zeit für die individuelle Sauberkeitsentwicklung gaben. Allerdings mussten sich viele Kinder einfach später einem Training unterziehen.

Zum Vergleich: In anderen Kulturen ist das anders. In anderen Kulturen achten viele Eltern bspw. von Anfang an auf die kindlichen Ausscheidungssignale. Signale, die auf eine baldige Ausscheidung hinweisen. In den ersten ca. 3 Monaten verfügen Neugeborene über einen Schutzreflex (z.B. schreien und ruckartige Bewegung), welcher auf eine baldige Ausscheidung hinweist. Durch das Erkennen dieses Reflexes bzw. später dieses Signals können Eltern entsprechend reagieren (Stichwort Ausscheidungskommunikation, auf welche ich hier allerdings nicht näher eingehen werde).


Zurück zum Thema "Töpfchentraining"

Es gibt Studien, wie z.B. die Zürcher Longitudinalstudie, die aufzeigen, dass ein frühes Töpfchentraining nicht dazu geführt hat, dass die an der Studie teilnehmenden Kinder früher "trocken" waren, als die teilnehmenden Kinder ohne Training. Daher kann man sagen, dass ein frühes Töpfchentraining die Entwicklung der Blasen- und Darmkontrolle nicht vorantreibt oder beschleunigt (Quelle: Largo, R. H. & Jenni, O.K., 2005).


Ergo bringt ein Töpfchentraining nichts, wenn Kinder hierfür nicht die notwendige körperliche, kognitive und emotionale (Angst vor der Toilette) Reife besitzen. Kinder benötigen eine bestimmte Reife, um kontrolliert den Darm und die Blase zu entleeren. Dieser sehr individuelle Entwicklungsprozess kann durch Erziehungsmaßnahmen nicht beeinflusst werden, zumindest nicht positiv.


Negativ schon: Druck durch Training oder Belohnungssysteme bei solch einem sensiblen Thema kann schnell zu negativen Konsequenzen führen. Kinder könnten bspw. Versagensängste entwickeln oder Angst vor der Situation und dieser aus dem Weg gehen. Mein Apell: Lasst euren Kindern die notwendige Zeit und bietet ab den ersten Interessensignalen den Toilettengang oder das Töpfchen an, ohne Druck und Zwang.


Mögliche negative Folgen eines (frühen) Töpfchentrainings (wenn ein Kind dazu noch nicht bereit war):

Wenn ein Kind mit Zwang und Druck und ohne notwendiges Bewusstsein einem Töpfchentraining ausgesetzt wird, was häufig mit Belohnungssystemen untermauert wird, dann kann es zu Abwehrverhalten seitens des Kindes kommen, Angst vor der Situation und dadurch halten viele Kinder dann die Ausscheidungen zurück oder Angst vor möglichen Konsequenzen, wenn sie in die Hose gemacht haben. Oftmals liegt der Fokus dann nur noch auf den Ausscheidungen und das beeinflusst natürlich die Gefühlswelt aller Beteiligten. Bei vielen Kindern kommt es in Stresssituationen oder bei Veränderungen zu "Rückfällen" - also dass die Kinder wieder sehr oft in die Hose machen.

Kinder benötigen nun mal eine bestimmte Reife, um ihre Ausscheidungen bewusst kontrollieren zu können und diese Reife können andere nicht von außen steuern oder beschleunigen.


Wenn wir uns mal die Zürcher Longitudinalstudie näher anschauen und hierbei unser Augenmerk mal nur auf die Eigeninitiative richten, also ab wann Kinder Interesse für die Toilette bzw. am Töpfchen zeigen, dann zeigen die Ergebnisse, dass die meisten Kinder ca zwischen 24 bis 36 Monaten damit angefangen haben (nähere Infos und Quelle - Folie 10).


Manche Eltern bieten ihren Kindern früher schon Alternativen an und das ist auch absolut in Ordnung, wenn das Kind Interesse zeigt. Es gibt aber auch einige ältere Kinder, die v.a. nachts noch die Windel brauchen. So lange körperlich und psychisch alles "okay" ist, braucht es keinerlei Unterstützung oder ähnliches von außen. Kinder brauchen einfach Zeit. Manche mehr als andere. Was ich euch damit sagen will? Macht euch da wirklich keinen Stress und vergleicht euch nicht mit anderen Familien. Lasst euch auch keinen Druck von Kitas usw. machen, die erwarten, dass ein Kind im Kindergarten ohne Windel zu sein hat. Solche Forderungen gibt es bei diversen Kitas noch. Diesen Einrichtungen würde ich dann Fortbildungen im Bereich der kindlichen Entwicklung empfehlen.


Wann ist ein guter Zeitpunkt für die Unterstützung der Sauberkeitsentwicklung?

Grundsätzlich von Anfang an. Im Grunde fängt die Sauberkeitsentwicklung beim Wickeln an (wenn ihr wickelt) und bei jeglichen Hygienemaßnahmen.

Diese könnt ihr so oft es geht positiv gestalten: Ohne Druck, ohne Zwang, ohne Hektik (Ja, ich weiß... funktioniert natürlich nicht immer, aber viele positive Erfahrungen legen den Grundstein für die weitere Sauberkeitsentwicklung).

Sobald dein Kind Interesse am Töpfchen, der Toilette oder dem Vorgang zeigt, kannst du dieses Interesse aufgreifen und anfangen dein Kind dabei zu unterstützen. Schaut z.B. passende Bilderbücher an, stellt Töpfchen oder Sitze für die Toilette bereit - also macht es euren Kindern so einfach wie möglich. Stellt Fragen, redet darüber, zeigt wie das funktioniert und freut euch mit euren Kindern über jeden Entwicklungsfortschritt. Achte auf dein Kind und darauf, ob deinem Kind der Ausscheidungsprozess an sich bewusst ist. Kann dein Kind sich diesbezüglich sprachlich ausdrücken oder kannst du es durch Mimik und Gestik? Sobald dein Kind die Entleerung der Blase und/oder des Darms bewusst merkt und kontrollieren kann, kannst du deinem Kind regelmäßig den Toilettengang anbieten und schauen, ob dein Kind auch emotional dazu bereit ist.


Ab wann das eintritt? Puh, in meinem Highlight nenne ich ein paar Zahlen, aber Kinder sind so unterschiedlich und wenn wir jetzt mal nur von Kindern ausgehen, die an die Windel gewöhnt wurden, dann sagen theoretische Ansätze, dass viele Kinder ca zwischen 18 - 36 Monate den Darm bzw. die Blase kontrolliere können. Ob sie schon wollen ist eine andere Frage.


"Trocken werden" (ich mag den Begriff nicht) - Die Sauberkeitsentwicklung ist ein Reifeprozess und sollte kein Erziehungsziel sein. Kinder müssen bestimmte körperliche Vorgänge spüren, erkennen und sich bewusst machen und später kontrollieren und steuern können, damit sie den Gang auf die Toilette (oder Töpfchen) schaffen.


Nun noch ein paar Fakten:

Die Darmentleerung wird früher bewusster wahrgenommen als die Blasenentleerung. Gründe sind zum einen die Häufigkeit der Abgabe (die Blase wird häufiger entleert) und die Ankündigung der Abgabe (vor der Darmentleerung spüren Kinder z.B. ein Drücken im Bauch). Daher ist es für Kinder auch schwieriger die Blase zu kontrollieren, weil die „Vorboten“ nicht so deutlich sind. Ein erster Schritt des Reifeprozesses ist, dass Kinder beginnen, die Darmtätigkeit oder den Abgang wahrzunehmen und zu kommunizieren.


Da die Blase häufiger entleert wird (ca. 10 mal am Tag) und es keine eindeutigen Ankündigungen gibt, müssen Kinder hier auf ausdifferenzierte Nervenverbindungen zwischen Gehirn und Blase zurückgreifen. Das Wahrnehmen des Harndrangs geschieht bei vielen Kindern ca zwischen dem 18. - 24. Monat. Ein erster wichtiger Entwicklungsschritt ist es, wenn Kinder im Nachhinein sagen, dass sie „Pipi gemacht“ haben. Diese Entwicklung können Eltern nun bestärken, aber nicht beschleunigen.


Ab hier können Eltern genauer hinsehen und dem Kind bei ersten Anzeichen das Töpfchen oder die Toilette anbieten. Bitte nicht schimpfen, wenn’s daneben geht, bei mind. 10 Blasenentleerungen über den Tag hinweg ist einmal oder mehrfach daneben nicht schlimm. Auch sind „Rückfälle“ (durch vertieftes spielen, Krankheiten, Stress) vollkommen normal und sollten gelassen gesehen werden.


Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen?

Im ersten Schritt können sich Eltern den Druck nehmen und von der Vorstellung oder Erwartungshaltung verabschieden, dass ihr Kind mit so oder so vielen Jahren auf die Toilette gehen muss. Nehmt euch den Druck raus.


Eltern können Vorbild sein und die Hygiene ihrer Kinder positiv gestalten. Waschen, wickeln usw. kindgerecht und spielerisch umsetzen - geht nicht immer, ist mir bewusst, aber oft :) Gebt euren Kindern die Chance all die Dinge mit Spaß zu besetzen und bewahrt die kindliche Neugier. Kinder lernen mit allen Sinnen und spielerisch.


Achtet auf die Signale und Interessen eurer Kinder und wenn ihr merkt, dass euer Kind Initiative zeigt, dann greift sie auf und unterstützt euer Kind: Holt passende Bilderbücher, Fingerspiele, singt passende Lieder, spielt mit Puppen passende Rollenspiele, stellt Fragen und beantwortet Fragen, nehmt die Angst vor der Toilette oder dem Töpfchen usw.


Natürlich könnt ihr jederzeit Alternativen zur Windel etablieren: Zumindest versuchen könnt ihr es. Ihr könnt Töpfchen ins Bad stellen und schauen wie eure Kinder darauf reagieren. Ihr könnt eine Puppe ins Töpfchen machen lassen usw.


Je älter ein Kind ist, desto eher könnt ihr darüber sprechen. Bei Ängsten fragt nach. Versucht die Ängste zu erkennen und nehmt sie ernst. Fragt eure Kinder was sie brauchen, damit sie z.B. auf die Toilette gehen.


Sobald ihr erkennt, dass eure Kinder Eigeninitiative zeigen, macht es ihnen so einfach wie möglich: leicht zugängliche Töpfchen, Klamotten sollten schnell an- und auszuziehen sein und fragt eure Kinder am Anfang regelmäßig, ob sie mal auf die Toilette müssen, denn oftmals vergessen Kinder im Spiel dass sie müssen. Viele Kinder sind sehr vertieft im Spiel, so dass sie kurz vor knapp den Blasendruck spüren und dann kanns schnell mal in die Hose gehen.


Keinen Druck aufbauen


Es braucht auch keine Belohnungssysteme - ehrliche Wertschätzung oder Mitfreude reichen oft aus.


Für viele Eltern von älteren Kindern (4-5 Jahre) fühlt es sich, aufgrund der gesellschaftlichen Erwartungs- und Normvorstellung unangenehm an, wenn ihr Kind noch nicht durchweg ohne Windel zurecht kommt. Auch hier: Wann eine Indikation für eine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung in Frage kommt, kann ich in diesem Blogartikel nicht beantworten, aber sobald ihr euch unsicher fühlt fragt bei entsprechenden Fachpersonen (Kinderarzt/Ärztin) nach, klärt eure Bedenken ab und lasst euch allerdings von eurem Gegenüber nicht unter Druck setzen. Die Fachliteratur zu diesem Thema besagt, dass die meisten Kinder zwischen 3 bis 4 Jahren ganz auf die Windel verzichten können und wollen und dass zu Beginn des 5. Lebensjahres noch ca. 10% der Kinder häufig für das große Geschäft eine Windel benötigen.


Im Verlauf des 4. Lebensjahres brauchen dann auch immer mehr Kinder nachts die Windel nicht mehr.


Mögliche Reifezeichen des Kindes:

Kind zeigt Interesse am Vorgang, am Töpfchen oder der Toilette. Bspw.: Du warst auf der Toilette und dein Kind stellt Fragen :)


Kind zeigt Eigeninitiative: Will mal auf die Toilette oder zieht das Töpfchen aus dem Eck oder will die Windel mal weg haben.


Dein Kind macht die Ausscheidung bemerkbar: Sagt z.B. dass die Windel voll ist oder kommuniziert das auf eine andere Weise. Somit ist deinem Kind die Blasen- oder Darmentleerung bewusst.


Fazit:

Die Sauberkeitsentwicklung ist ein Reifeprozess und dieser ist von verschiedenen Entwicklungsprozessen abhängig (z.B. körperlich, organisch, emotional und kognitiv) und diesen Prozess kann man als Eltern von außen nicht kontrollieren, steuern oder beschleunigen. Muss man auch nicht.

Ob ihr euren Kindern regelmäßig Alternativen anbietet, um zu sehen wie das Interesse ist oder ob ihr erst auf Eigeninitiative des Kindes wartet ist glaube ich egal. Hauptsache es wird kein Druck aufgebaut und dieser wichtige und individuelle Entwicklungsprozess wird nicht zu einem von Erwachsenen gesetzten Erziehungsziel.


Zum Abschluss: Dieser Blogbeitrag thematisiert nicht das Abhalten, sondern hier geht es um Kinder, die an die Windel gewöhnt sind.



Quellen


https://www.uniklinik-ulm.de/fileadmin/default/Kliniken/Kinder-Jugendpsychiatrie/Praesentationen/Rau_2014_IndividuelleUnterschiede_2.pdf

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